Fotoprojekte

Nackte Opfer der Gesellschaft: Fotografie von Evelyn Bencicova

Man nimmt dir alles. Haus, Geschichte, Kleidung, Schutz und Beschützer. Du bist lediglich ein Klumpen Fleisch. Ins kalte Wasser geworfen, in unsere Gesellschaft. Na dann schau doch, wie du zurechtkommst…

So oder so ähnlich will uns Evelyn Bencicova mit ihrem Projekt „ECCE HOMO“ ansprechen. Will auf eine leicht verstörende Weise die Gesellschaft darstellen und die Art, auf die jeder einzelne von uns darin wirkt. Doch eigentlich ist es ihr am liebsten, die Interpretation ihrer Bilder den Betrachtern selbst zu überlassen.

Dann wagen wir mal einen Versuch…

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Nackte Leiber, die sich stapeln, die Muster bilden, die von einer höher stehenden Macht geordnet wurden. Die zappelnd nach etwas streben, die Hände krampfartig ausgestreckt und doch ins Leere greifend. Deren Intimstes schutzlos ausgeliefert wird, die angreifbar sind und hilflos wirken.

Wir vergessen so schnell, dass wir körperlich gesehen nicht die Stärksten sind. Gegen andere, wild lebende Säuger sehen wir ohne unsere kulturellen Tricks, unsere Waffen, Schutzausrüstungen und Kommunen ganz schnell alt aus. Nicht nur, dass uns die Veranlagungen fehlen, schnell wie Raubkatzen zu rennen, wie Delfine zu navigieren und wie viele Tiere zu überwintern. Wir nutzen auch unser körperliches Potenzial nicht aus. Wer geht heute noch täglich an sein körperliches Limit?

Dabei ist der Mensch doch so vielseitig! Mit dem Vorwurf, wilden Tieren in ihren körperlichen Leistungen nicht gewachsen zu sein, habe ich natürlich vielen Olympioniken Unrecht getan. Doch auch zu einer enorm präzisen Feinmotorik sind wir in der Lage. Zum Glück! Chirurgen retten Tag für Tag Leben und zeigen uns, was unsere Motorik doch für ein Geschenk ist.

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Auch Evelyn Bencicova will die Leute dazu aufrufen, aus dem Trott unseres Alltags auszubrechen. „Kreiere!“ heißt ihre Devise, die gleichzeitig ein Motto von ihr zu sein scheint. Denn hat sich erst einmal eine Idee materialisiert, wird sie zur Getriebenen und zur Perfektionistin. Models und Ort müssen stimmen, und wenn sie monatelang suchen muss. Dann wird jedem seine Rolle in der Komposition erklärt. Oft werden aber auch spontane Änderungen im Konzept vorgenommen, wenn es vor Ort doch nicht so wirkt wie gedacht. Bencicova, die selbst als Model gearbeitet hat, scheut sich nicht, sich auch verrenkt auf den Boden zu legen, um genau zu zeigen, was ihr da vorschwebt.

Heute ist es aber nicht mehr die Natur, die uns gefährlich wird, jedenfalls nicht so offensichtlich. Es ist vielmehr das, was der moderne Mensch in erster Linie zum Eigenschutz aufgebaut hat: Die Gesellschaft.

Sie ist es, die uns unseren Schutz raubt, unser Selbstbewusstsein und unseren inneren Frieden zerstört. Die uns an den Pranger stellt, über uns witzelt, wenn wir uns nicht schnell genug entwickeln, oder wenn wir nicht der Norm entsprechen. Die uns zu den Gewinnern oder den Verlierern steckt, unser Leben als gelungen oder misslungen abstempelt. Die uns zu Beginn einen Zeitplan in die Hand drückt und mit erhobenem Finger sagt: „Halte dich dran, dann wirst du was, Kind!“

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Es geht um das Verhalten eines verwundbaren menschlichen Körpers. Die menschliche Art in vereinfachten Situationen dargestellt, so dass das Wesentliche an die Oberfläche tritt. Archetypische Verhaltensmuster eines Menschen in der Gesellschaft. Eines Menschen, der noch nicht auf die Wiederholung seiner Erfahrungen eingestellt ist.

Denn welche Rolle spielen wir eigentlich in der Gesellschaft? Sind wir nicht wirklich ein Teil einer anonymen Masse, wie die austauschbaren Körper auf diesen Fotos? Vom Neonlicht bestrahlt, ineinander gekeilt, ohne erkennbare Gesichter. Reines Fleisch, das so klinisch wirkt in dieser Umgebung. Inszeniert, natürlich, aber damit erreicht die Fotografin trotzdem etwas Besonderes: Der Mensch wird quasi seiner Würde beraubt, wird zu etwas anorganischem, zu einem Teil eines Patterns, einer immer wiederkehrenden Struktur im Laufe der Zeit.

Es fröstelt mich, Menschen so zu sehen und mir vorzustellen, wie es ist, mit den anderen so physisch und irgendwie auch psychisch nackt zu posieren. „ECCE HOMO“ wühlt einen wirklich ein bisschen auf.

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Diese Bilder zeigen die Menschheit. Sie zeigen den Menschen in der Gesellschaft und den Charakter der Gesellschaft unserer Welt. Es könnte um jeden gehen. Um irgendwen. Darum sind die Personen nackt und anonym. Ein Mensch ohne jede Bedeutung. Auch die Orte, an denen die Fotos geschossen wurden, habe ich gewählt, weil sie kalt und unpersönlich sind. Ohne jeden emotionalen Hintergrund, aber mit einer starken Energie. Orte, an denen etwas passiert, doch keiner weiß, was genau.

Doch sehen wir hier nicht auch die Schönheit des menschlichen Körpers? Bencicova, die viel Fashion Fotografie gemacht hat, schafft es in gewisser Weise auch, den Menschen als Produkt zu präsentieren. Der Blick wird auf die sanften Kurven der Hüften, die Rundungen des Pos, grazil angewinkelte Arme gelenkt, wie ein Blumengesteck wirken die Körper aufeinander drapiert.

Ja, irgendwie ist das, was Evelyn Bencicova hier tut grotesk, aber irgendwo einfach – schön!

Mehr von ihr gibt es auf FacebookTumblr und Behance.

via: Kwerfeldein | Bilder: Evelyn Bencicova (used with permission)

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