Der Absturz der Kameraindustrie und wie man ihn verhindern könnte

Die Verkaufszahlen von günstigen Kameras sinken immer weiter. Die Kameraindustrie muss reagieren, bevor es zu spät ist.

Das große Problem der Kameraindustrie

Der Markt der Einsteiger-Kameras wird kleiner und kleiner. Günstige Kompaktkameras, Bridgekameras, teilweise auch Spiegelreflexkameras für Anfänger – sie alle sterben langsam aber sicher aus.

Wer die gesamte Branche ein wenig verfolgt, der weiß, dass für diesen Absturz der Kameraindustrie hauptsächlich die Smartphones verantwortlich sind. Früher war eine Kamera fester Bestandteil einer jeden Familie. Man nahm sie mit in den Urlaub, schoss Erinnerungsfotos mit ihr, entwickelte die Bilder und zeigte sie dann Freunden und Verwandten. Irgendwann wurden die Kameras dann digital. Es entstanden Portale wie Myspace, Flickr und Facebook und so wurden die Bilder dann gerne auch mal von der Kamera auf den Computer gespielt, bearbeitet und im Anschluss ins Netz gestellt.

Und heute? Macht man Fotos mit seinem Smartphone, öffnet eine entsprechende App (Whapts App, Facebook, Instagram usw.) und klickt auf „hochladen“. Das funktioniert jederzeit und überall. Und es dauert nur wenige Sekunden.

Der gesamte Prozess vom simplen Foto hin zur „Veröffentlichung“ ist also nicht nur wesentlich unkomplizierter geworden, man braucht auch nur noch ein einziges Gerät dafür. Dementsprechend gibt es für den normalen Verbraucher heute kaum noch einen Grund, sich zusätzlich zum Smartphone eine günstige Kamera zu kaufen. Das ist für die Kameraindustrie ein Problem. Ein riesiges Problem sogar.

Dieser Thematik hat sich Fotograf Tony Northrup in einem neuen Video angenommen, welches auf den Titel „The DEATH of the Consumer Camera“ hört. Das Video möchte ich in diesem Artikel aufgreifen, Northrups Ansichten grob zusammenfassen und den ein oder anderen eigenen Gedanken ergänzen. Das Video findet ihr am Ende dieses Artikels.

Verkaufszahlen gehen seit 2008 zurück

Beginnen wir mit einem Blick auf die Verkaufszahlen von Kameras in den letzten Jahren. Diese Statistik verwendet Tony Northrup auch in seinem Video:

Es ist deutlich zu erkennen: Seit 2008 stürzt die blaue Linie, die für Kompaktkameras steht, dramatisch ab. Das ist kein Zufall. Denn 2007, also ein Jahr zuvor, hat Apple das erste iPhone präsentiert. Und dass mit diesem eine lange Erfolgsgeschichte beginnen sollte, das dürfte inzwischen den allermeisten bekannt sein.

Die orangene Linie steht für DSLRs und DSLMs. Diese sollte noch einige Jahre länger ansteigen als die blaue Linie der Kompaktkameras, was unter anderem an den spiegellosen Systemkameras lag. Diese erobern nämlich seit etwa 2008 den Markt und natürlich wurden hier gerade in den ersten Jahren zahlreiche Modelle verkauft. Doch seit 2012 muss auch bei Kameras mit Wechselobjektiven ein Rückgang der Verkaufszahlen verzeichnet werden. Auch wenn dieser natürlich nicht so drastisch ausfällt wie bei den Kompaktkameras.

Weiterführender Artikel: Hersteller verkaufen so wenige Kameras wie nie zuvor

Es bilden sich zwei große Gruppen von Fotografen

Woran liegt das, dass DSLRs und DSLMs insgesamt bestehen dastehen als Kompaktkameras? Ganz einfach: Profis und ambitionierte Hobbyfotografen kaufen natürlich nach wie vor neue Kameras. Für sie könnte ein Smartphone niemals eine richtige Kamera ersetzen. Dementsprechend stellen die Verkaufszahlen im High-End-Bereich für die Kamerahersteller nicht das große Problem dar. Das Problem liegt vielmehr im Einsteiger-Segment.

Wie reagieren die Hersteller nun darauf? Ziemlich einfach: Sie konzentrieren sich verstärkt auf diesen High-End-Bereich. Viele Kameras werden im Vergleich zu ihren Vorgängern deutlich teurer (siehe Canon EOS 5D Mark IV oder Sony A6300), die Unternehmen versuchen also primär betuchte Hobby- oder Profifotografen anzusprechen. So denn noch neue Kompaktkameras auf den Markt gebracht werden, handelt es sich hier meist um sogenannte Premium-Kompaktkameras – also Kameras, die ebenfalls teuer sind. Bei den günstigen Kompakten wird nur noch ein wenig Modellpflege betrieben. Im Bereich der Einsteiger-Kameras sieht es ganz ähnlich aus. Hier gibt es oftmals keine nennenswerten Neuerungen, weshalb Kunden ihre Kameras teilweise länger behalten oder eher eine gebrauchte oder ältere Profi-Kamera kaufen, als den Nachfolger ihrer Einsteiger- bzw. Mittelklasse-DSLR zu erwerben.

All diese Faktoren führen dazu, dass sich zwei große Gruppen von Fotografen bilden. Zunächst einmal haben wir die Profis und die ambitionierten Hobby-Fotografen, die gerne mal etwas mehr Geld in neue Kameras investieren. Diese Gruppe sorgt bei den Herstellern für die größten Umsätze, was wiederum dazu führt, dass sich die Hersteller auf diese Kunden konzentrieren.

Gruppe Nummer 2 sind die ganz normalen Durchschnittsverbraucher, die inzwischen keine Kamera mehr brauchen, weil sie mit ihrem Smartphone fotografien. Das reicht für sie vollkommen aus, denn die Qualität der Smartphone-Kameras hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert.

Theoretisch gibt es noch – wie bereits angedeutet – eine dritte Gruppe. Die Gruppe nämlich, die irgendwo zwischen Gruppe 1 und Gruppe 2 feststeckt. Smartphones sind zu schlecht, interessante neue Kameras zu teuer. Oft werden dann etwas ältere Top-Modelle gekauft oder man bleibt bei der Kamera, die man schon seit Jahren hat.

Die Hersteller lassen den Nachwuchs fallen

Im Grunde ist das nichts wirklich Neues, dass es ganz unterschiedliche Gruppen von Fotografen gibt. Früher haben die normalen Verbraucher mit Kompaktkameras fotografiert, heute benutzen sie eben Smartphones. Der Unterschied ist für die Kamerahersteller aber gewaltig. Denn diese ganze riesige potenzielle Kundengruppe, die früher Kompaktkameras gekauft hat, ist inzwischen zu Apple, Samsung, LG, HTC, Sony und Huawei abgewandert.

Das ist das erste Problem. Doch es ist nicht das einzige Problem. Denn es ist gut vorstellbar, dass die Gruppe der Hobbyfotografen und Profis – sprich die Gruppe, die aktuell noch für viele Umsätze sorgt – in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ebenfalls schrumpfen wird.

Diese Vermutung kommt folgendermaßen zustande: Vor zehn Jahren hat sich unser Durchschnittsverbraucher mit Namen Alexander Müller eine Kompaktkamera zugelegt. Smartphones gab es damals noch nicht, dementsprechend war die Kompaktkamera für ihn die günstigste Möglichkeit, um im Urlaub Fotos zu schießen. Mit der Zeit merkte Alexander, dass ihm das Fotografieren Spaß macht. Er legte sich also eine etwas teurere Kamera zu. Die war vom gleichen Hersteller, die Bedienung war sehr ähnlich, die Kamera wirkte vertraut. Nur war sie eben etwas besser. Mit der Zeit kamen noch ein zwei Objektive hinzu und so wurde die Fotografie für Alexander langsam zum Hobby. Ein Hobby, in das er im Laufe der Jahre viel Zeit und Geld investiert hat.

Fotografieren mit dem Smartphone. Einfach und unkompliziert.

Nun schreiben wir das Jahr 2016. Finn Maier ist 14 Jahre alt und hat wie alle seine Freunde ein neues Smartphone. Täglich werden unzählige Bilder geschossen, die dann über Whats App oder Snapchat an Freunde verschickt werden. Außerdem ist Finn auch auf Instagram aktiv und hat dort einen eigenen Account. Finn macht das Fotografieren Spaß, also überlegt er sich, ob er nicht eine richtige Kamera kaufen möchte.

Also, ab in den Media Markt und eine DSLR für Einsteiger gekauft. Finn hat zuvor noch nie eine Spiegelreflexkamera in Händen gehalten – und tippt dementsprechend bei der ersten Nutzung seiner neuen Kamera erstmal planlos auf dem Bildschirm herum. Moment mal, gar kein Touchscreen? Das ist doch die einfachste und intuitivste Form der Bedienung? Ok, dann muss man sich wohl erstmal einlesen, wie die neue Kamera überhaupt funktioniert. Denn das Menü wirkt auf den ersten Blick ziemlich verwirrend.

Okay, Finn hat sich eingelesen. Er kommt jetzt mit dem Menü zurecht. Jetzt will er ein paar Bilder machen, die er dann auf Instagram laden und per Whats App verschicken kann – wie immer eben, nur diesmal mit seiner neuen Kamera und der besseren Bildqualität. So die Fotos sind gemacht. Und jetzt? Muss man da die Speicherkarte entnehmen, den Computer anschalten, die Bilder auf den PC kopieren und sie dann hochladen. Ach Moment, auf Instagram hochladen oder per Snapchat verschicken geht ja nur über das Smartphone. Also die Bilder vom Computer auf das Smartphone übertragen, dann hochladen.

Die Alternative: Mit dem Smartphone ein Bild machen, Instagram öffnen, hochladen – fertig. Ist irgendwie viel einfacher. Finns Kamera landet ziemlich schnell wieder in der Ecke.

Ich fasse zusammen, was ich mit dieser kleinen Geschichte verdeutlichen möchte: Ja, es gibt nach wie vor zwei Gruppen von Fotografen, wie früher auch schon. Doch der Abstand zwischen Gruppe 1 und Gruppe 2 ist wesentlich größer geworden! Ein Kind von unter 10 Jahren, das mit Smartphones und Tablets aufgewachsen ist, weiß mit einer Kamera vermutlich überhaupt nichts anzufangen. Das ist wie ein Ding aus der Steinzeit. Und dieses Kind soll mal ein begeisterter Hobbyfotograf werden, der hunderte Euro in Kamera-Equipment investieren soll? Obwohl dieses Equipment in seine Welt von Snapchat und Instagram irgendwie gar nicht so richtig hineinpasst? Schwer vorstellbar.

Wie die Hersteller umdenken könnten

Im Moment geht es für die Hersteller darum, wie sie ihre Umsatzzahlen einigermaßen stabilisieren können. Die meisten investieren inzwischen noch in andere Bereiche, Medizin zum Beispiel. Zudem konzentrieren sie sich voll auf den High-End-Markt, denn dort haben sie nach wie vor viele Kunden, die bereit sind, viel Geld zu investieren.

Doch mit dieser Strategie laufen Canon, Nikon, Sony und Co. Gefahr, keine neuen Kunden und keine neuen Einsteiger mehr zu erreichen. Denn das Ziel von den sogenannten Consumer Cameras sollte es ja sein, Neukunden an Bord zu holen, sie an die eigenen Marke zu binden und sie für die Fotografie zu begeistern. So, dass sie dann später eventuell in eine teurere Kamera investieren.

Das sollte eigentlich gelingen, denn das Interesse für Fotografie und Bilder im Allgemeinen ist ja – im Gegensatz zu den Verkaufszahlen von Kameras – keineswegs geschrumpft. Im Gegenteil! In Zeiten von Instagram und Co. sind Bilder wichtiger denn je und nicht umsonst werben die Smartphonehersteller immer ganz besonders mit ihren erstrassigen neuen Kameras, die in ihren neuen Smartphones zum Einsatz kommen.

Es könnte sich für die Hersteller also lohnen, sich der „neuen Generation von Fotografen“ anzunähern und sie abzuholen. Dabei geht es nicht darum, den Smartphones Konkurrenz zu machen – diesen Kampf haben die Kamerahersteller längst verloren. Vielmehr sollte es das Ziel sein, den Schritt vom Smartphone hin zu einer richtigen Kamera unkompliziert und gleichzeitig lohnenswert zu gestalten. Tony Northrup hat in seinem Video auch ein paar Vorschläge parat, wie das gelingen könnte:

  • Technologien wie Snapbridge weiter ausbauen. Bilder müssen sich unkompliziert auf Smartphones übertragen lassen. Auch eine Art Cloud, in die alle Bilder automatisch von der Kamera aus hochgeladen werden, ist denkbar.
  • Bedienung der Kameras anpassen und verstärkt auf Touchscreens setzen. Es braucht etwas wie iOS oder Android, das unkompliziert und an Smartphones angelehnt ist.
  • Smartphones erhalten regelmäßig Software-Updates. Zudem gibt es Millionen von interessanten und spannenden Apps, die den Funktionsumfang erweitern. Warum ist das bei Kameras nicht so?

Eine Instagram-App für Kameras – das wäre vermutlich Finns Traum. Dann verbindet er die Kamera einfach mit dem heimischen WLAN, richtet mit dem Smartphone einen Hotspot ein oder setzt in einer idealen Welt einfach eine SIM-Karte in die Kamera ein, damit diese jederzeit mit dem Internet verbunden ist. Sobald er ein Bild geschossen hat, öffnet er die App über das große Touch-Display und lädt das Bild hoch. Fertig.

Eine alte Konica Auto S3 von 1973. Smartphones gab es damals natürlich noch nicht.

Das Fazit

Wenn ich diese Zeilen so schreibe, dann höre ich schon den Aufschrei einiger Leser. Denn diejenigen, die diesen Artikel lesen, sind vermutlich zu großen Teilen keine 14-jährigen Finns. Es sind eher Fotografen, die seit vielen Jahren fotografieren, die sich an den Workflow mit Speicherkarten und allem drum und dran gewöhnt haben, denen die Bedienung ihrer Kamera in Fleisch und Blut übergegangen ist und die jetzt erstmal googeln müssen, was dieses merkwürdige „Snapchat“ überhaupt ist. All diese Nutzer brauchen die angesprochenen Neuerungen nicht. Und sie wollen sie vermutlich auch nicht.

Keine Angst, liebe Leser. Die Hersteller werden ganz sicher nicht ihre aktuell wichtigste Zielgruppe vergraulen, indem sie in ihren Mittelklasse- oder High-End-Kameras von heute auf morgen solch drastische Veränderungen vornehmen. Dennoch müssen Canon, Nikon und Co. die junge Generation irgendwie wieder besser ins Boot holen. Und das kann nur gelingen, indem man Einsteiger-Kameras mehr an die Bedürfnisse von jungen Nutzern anpasst und ihnen einen Mehrwert gegenüber dem Smartphone bietet.

Ja, DSLRs und DSLMs haben eine bessere Bildqualität zu bieten als die Kamera eines Smartphones. Der Autofokus funktioniert besser. Man bekommt mit einem lichtstarken Objektiv eine schöne Unschärfe im Hintergrund hin. Doch diese Vorteile sind in den Augen vieler Durchschnittsnutzer eben nicht mehr groß genug, um den unfassbar umständlichen Workflow zu rechtfertigen. Zudem muss man die DSLR immer mit sich rumschleppen, das Smartphone passt in die Hosentasche und man hat es sowieso immer dabei.

Außerdem muss man feststellen, dass sich die Qualität der Smartphone-Kameras rasant entwickelt, während die Qualität der Einsteiger-Kameras weitestgehend stagniert. Schaut euch das neue iPhone 7 Plus an. Das hat jetzt zwei Hauptkameras, eine mit einem Tele- und eine mit einem Weitwinkelobjektiv. Hinzu kommt die Frontkamera für Selfies. Zudem können dank der beiden Hauptkameras nun auch Bilder mit schicken Unschärfeeffekten geschossen werden. Die Vorteile von richtigen Kameras schrumpfen also mehr und mehr.

Weiterführender Artikel: Was können die Kameras aktueller Top-Smartphones?

Diese neuen Funktionen der Smartphone-Kameras hauen einen alteingesessenen Fotografen natürlich nicht vom Hocker. Kennt er alles von seiner Kamera, die das alles noch wesentlich besser macht. Doch für die allermeisten normalen Nutzer reicht die Qualität einer aktuellen Smartphone-Kamera eben absolut aus! Da gibt es keinen Grund mehr, sich eine Einsteiger-DSLR zuzulegen. Und die Kamera, die dann deutlich besser als die Kamera des eigenen Smartphones ist, die kostet in Kombination mit ein oder zwei Objektiven gleich wieder mehr als 1.000 Euro. Das wollen oder können sich die meisten nicht leisten.

Es wird also Zeit für die Kameraindustrie, ein wenig umzudenken. Ja, das ist leichter gesagt als getan. Und eine einfache Lösung gibt es nicht. Doch der Schritt scheint notwendig zu sein. Sonst verliert man nicht nur weitere Einsteiger, sondern langfrisitig gesehen möglicherweise auch Hobbyfotografen und Profis.

Was haltet ihr von Tony Northrups Forderungen? Und wie würdet ihr aus Sicht der Hersteller versuchen, die im Artikel beschriebenen Probleme anzugehen?

Mark Göpferich

Gründer von Photografix, der sich seit vielen Jahren immer wieder aufs Neue von Fotografie und Kameras begeistern lässt. Mit mehr als 4.000 Artikeln hier auf Photografix inzwischen so etwas wie ein Experte für neue Kameras.