Nikon in der Krise

Bei Nikon läuft derzeit einiges schief. Wir beleuchten die aktuellen Probleme und wagen einen Blick in die düstere Zukunft.

Was ist da aktuell eigentlich bei Nikon los? Diese Frage habe ich mir kurz nach der offiziellen Präsentation der Nikon D5600 gestellt, denn die neue Spiegelreflexkamera kann man in vielerlei Hinsicht nur als enttäuschend bezeichnen. Doch die Nikon D5600 ist nicht das einzige Problem, das es bei Nikon derzeit gibt. Bei weitem nicht. In diesem Artikel möchte ich einen Blick auf Nikons Baustellen und Probleme werfen.

Nikon D5600 & D3400: Enttäuschende Neuheiten

Die Nikon D5600 hat im Vergleich zur knapp zwei Jahre alten Vorgängerin, der Nikon D5500, kaum nennenswerte Neuerungen zu bieten. Okay, Snapbridge ist in jedem Fall eine sinnvolle Ergänzung – doch dann hört es im Grunde schon auf. Denn es fällt schwer, etwas wie einen verbesserten Bildlauf im Wiedergabemodus als „Neuerung“ zu bezeichnen. So etwas liefert Fujifilm mit einem kleinen Firmwareupdate.

Die Nikon D5600 ist also eine schwache Neuheit, das kann man nicht anders sagen. Gehen wir ein paar Wochen zurück, genauer gesagt zur photokina 2016. Hier hat Nikon den mit Abstand enttäuschendsten Auftritt hingelegt. Alle anderen Hersteller hatten eine oder mehrere interessante Neuheiten im Gepäck, Nikon konnte lediglich die Nikon D3400 präsentieren. Und diese D3400 ist im Grunde eine noch schwächere Neuheit als die D5600. Nikon hat es hier nämlich nicht nur versäumt, größere Neueuerungen zu implementieren – die Kamera ist teilweise sogar schlechter als ihre Vorgängerin:

  • Anschluss für ein externes Mikrofon fällt weg
  • Der integrierte Blitz ist etwa ein Drittel schwächer als bei der D3300
  • Automatische Sensorreinigung wurde gestrichen

Sowohl die Nikon D5600 als auch die Nikon D3400 sind also absolut enttäuschende Neuzugänge in der Nikon Familie. Natürlich müssen vor allem Einsteiger-Kameras nicht immer mit irgendwelchen bahnbrechenden Neuerungen daherkommen, im Gegenteil. Aber etwas mehr darf es dann doch sein.

Wo bleiben die Nikon DL Kameras?

Blättern wir im Kalender noch ein paar Monate zurück und schauen, was Nikon denn vor der D5600 und der D3400 vorgestellt hat. Wir landen im Februar 2016 und stoßen auf die drei Nikon DL Kameras. Hier hat Nikon eine neue Serie von Premium-Kompaktkameras eingeführt, die auf dem Papier durchaus einen guten Eindruck hinterlassen. Prinzipiell sind das also überzeugende Neuheiten.

Mit der DL-Serie möchte Nikon im Bereich der High-End-Kompaktkameras mitmischen.

Doch leider gibt es auch heute, rund neun Monate nach der offiziellen Präsentation, keine Spur von den Nikon DL Kameras. Kein Händler hat sie im Angebot und Nikon hat die Einführung der Premium-Kompakten „auf unbestimmte Zeit verschoben“. Das hängt laut Nikon mit dem Erdbeben von Kumamoto zusammen, außerdem gibt es noch Probleme mit der Hardware, an denen die Ingenieure noch arbeiten müssen. Das berichten Chip.de und Nikonrumors. Neun Monate nach der offiziellen Präsentation sind die Kameras also noch nicht einmal fertig entwickelt? Bitter.

Guter Start ins Jahr 2016

Wenn man einen Blick auf den Januar 2016 wirft, dann findet man dort endlich neue Nikon Kameras, die zu begeistern wissen (und auch im Handel erhältlich sind). Die Rede ist von der Nikon D5 und der Nikon D500. Hier hat Nikon wirklich tolle Neuheiten vorgestellt und von der Nikon D500 bin ich persönlich immer noch hellauf begeistert. Was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass mich die Gerüchte zu dieser mysteriösen „Nikon D400“ hier auf Photografix von Anfang an begleitet haben und ich bis zur offiziellen Präsentation nicht damit gerechnet hatte, dass diese D400 bzw. D500 jemals erscheinen würde.

Blick auf Nikons aktuellen Halbjahresbericht

Nikon ist also gut ins Jahr 2016 gestartet, sehr gut sogar. Doch danach ging es deutlich bergab, was sich auch im aktuellen Halbjahresbericht wiederspiegelt. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Umsätze im Bereich Imaging Products um 32 Prozent eingebrochen. Insgesamt sind die Umsätze um 14 Prozent auf 344 Milliarden Yen (das entspricht etwa 3 Milliarden Euro) gesunken. Gut sieht es lediglich im Bereich der Lithografie-Anlagen aus, dabei geht es um kleine und mittelgroße Displays, die beispielsweise für Smartphones gebraucht werden. Doch auch hier rechnet Nikon demnächst mit sinkenden Zahlen. Außerdem ist das ein Bereich, der Nikon vielleicht Geld bringt – doch das eigentliche Kerngeschäft, die Kamera-Branche, bringt er nicht voran.

Nikon bleibt also weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Die Gründe, die das Unternehmen für die schlechten Zahlen anführt, haben wir in der Vergangenheit bereits mehrfach gehört: starker Yen und Erbeben von Kumamoto. Außerdem natürlich die sinkenden Verkaufszahlen von günstigen Kompaktkameras.

Ja, das sind Probleme für Nikon. Doch es sind nicht die einzigen Probleme. Es sind die greifbaren, die oberflächlichen Probleme. Doch würde es ohne den starken Yen und ohne das Erdbeben jetzt viel besser aussehen für Nikon? Vermutlich nicht. Was das Unternehmen wirklich braucht, sind Ideen und Innovationen. Doch die fehlen aktuell weitestgehend.

So reagiert Nikon auf die aktuellen Probleme

Wie geht Nikon nun mit diesem schwachen Halbjahresbericht um? Versucht man die Kunden wieder mit neuen Produkten zu begeistern? Möglicherweise – falls ja, wissen wir aber noch nichts davon. Primär reagiert Nikon auf die Krise mit Einsparungen. Dafür legt das Unternehmen einen Restrukturierungsplan vor, in dem die Rede von Optimierungen in den Bereichen Herstellung und Marketing ist, außerdem soll der Fokus nicht mehr auf Umsatzwachstum, sondern auf Gewinnen und Renditen liegen.

Klingt alles ganz nett – auf gut deutsch heißt das einfach: Nikon schlägt einen Sparkurs ein. Und wenn man sich Neuheiten wie die Nikon D3400 und die Nikon D5600 anschaut, dann wird schnell klar, wie sich dieser Sparkurs auf neue Kameras auswirken kann.

Nikon streicht 1.000 Stellen – oder doch nicht?

Die Einsparungen sehen es wohl unter anderem vor, dass Nikon in Japan rund 1.000 Stellen streichen möchte. Das entspricht rund 10 Prozent der dortigen Belegschaft. Das hat vor einigen Wochen die stets gut informierte japanische Webseite Nikkei vermeldet. Nikon hat diese Meldung kurze Zeit später offiziell dementiert:

Although Nikon is constantly studying various management options including headcount rationalization for strengthening company’s profitability mainly of Semiconductor Lithography and Imaging Products Businesses, nothing has been decided at this time.

Man behält also alle Optionen im Blick, aber offiziell entschieden sei noch nichts.

Interessant. Denn nur wenige Stunden später taucht in einem offiziellen Nikon Dokument der folgende Abschnitt auf:

Based on the above initiatives to rationalize headcount, Nikon will be announcing a voluntary retirement program of approximately 1,000 employees.

Ein „voluntary retirement program“ also. Heißt auf Deutsch soviel wie ein „freiwilliges Rücktrittsprogramm“. Eine nette Formulierung, doch letztendlich bedeutet es genau das, was Nikon kurze Zeit zuvor noch dementiert hat – es werden 1.000 Arbeitsplätze gestrichen.

Schlechte Kommunikation, wenige Lichtblicke

Nikon hat in den letzten Jahren immer wieder schlechtes Kommunikationsverhalten, auch und vor allem den Kunden gegenüber, an den Tag gelegt. Darüber hatte ich mich bereits vor ein paar Jahren im Artikel „Der Fall Nikon(s)“ ausgelassen.

Ich weiß nicht ob Nikon hier bewusst lügt oder ob die interne Kommunikation einfach nicht stimmt. Doch für mich wirft diese kleine Geschichte ein schlechtes Licht auf das Unternehmen. Denn die Dementierung wird durch das „freiweillige Rücktrittsprogramm“ (in dem exakt 1.000 Menschen freiwillig zurücktreten werden) unglaubwürdig. Infolgedessen müssen auch andere Aussagen von Nikon angezweifelt werden. So hat das Unternehmen beispielsweise vor einigen Wochen dementiert, dass die Serie der Nikon 1 Kameras fallen gelassen wird. Das hatte kurze Zeit zuvor DPReview vermeldet. Stimmt das nun? Oder wird Nikon irgendwann doch still und heimlich die Produktion von neuen Nikon 1 Kameras einstellen, so wie man nun doch die 1.000 Arbeitsplätze streichen möchte?

Insgesamt passen die Nikon 1 Modelle nicht so richtig in das neue Konzept von Nikon, denn dieses neue Konzept lautet „mehr Gewinn“ – und mehr Gewinn erreicht man in erster Linie im teuren High-End-Bereich. Doch mit spiegellosen APS-C- oder gar Vollformatkameras sollte man von Nikon in den nächsten Monaten (und Jahren) eher nicht rechnen, das hat das Unternehmen selbst durchblicken lassen. Der spiegellose Bereich ist bei Nikon also so tot wie bei kaum einem anderen Hersteller. Dementsprechend fehlen den Kunden echte Lichtblicke, auch wenn man natürlich hoffen muss, dass Nikon im Jahr 2017 zum 100jährigen Jubiläum das eine oder andere Highlight vorstellen wird.

Im Jahr 2017 möchte Nikon Gerüchten zufolge eine Kamera im Stile der Nikon Df auf den Markt bringen.

Zusammenfassung & Fazit

Fassen wir zusammen: Nikons Neuheiten in den letzten Monaten (die D5600 und die D3400) sind im Vergleich zu ihren Vorgängern große Enttäuschungen. Nikon spart hier wo es nur geht, verzichtet zu großen Teilen auf Neuerungen und macht die Kameras teilweise sogar noch schlechter als ihre Vorgänger.

Bei den Nikon DL Kameras gibt es auch viele Monate nach der offiziellen Präsentation noch Probleme. Für eine verzögerte Verfügbarkeit wegen des Erdbebens von Kumamoto hätte sicherlich jeder Kunde Verständnis. Doch dass Nikon immer noch an den Kameras arbeitet, weil sie nicht ausgereift sind, etwas in Sachen Qualität nicht stimmt oder was auch immer –  das ist irgendwie beunruhigend.

Beunruhigend ist auch der aktuelle Halbjahresbericht. Nikon will auf die schweren Zeiten mit Einsparungen reagieren, Gewinne müssen optimiert werden, Arbeitsplätze werden gestrichen. Dadurch werden die nächsten Quartalsberichte vielleicht nicht ganz so übel aussehen – doch ein Weg aus der Krise ist das für Nikon nicht. Ganz im Gegenteil. Denn so wird es für Nikon noch schwerer, wirklich überzeugende und innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Und so würde es mich nicht wundern, wenn es in den nächsten Jahren für Nikon weiter bergab geht.

Vielleicht können die KeyMission Kameras für einen minimalen Aufschwung sorgen, doch das bezweifele ich ehrlich gesagt. Auch wenn ich es immer richtig und gut fand, dass Nikon versucht, sich neue Bereiche zu erschließen. Doch wenn man sieht, dass selbst GoPro – das Unternehmen, das in den letzten Jahren der ganz große Name im Bereich der Action-Kameras war – aktuell Probleme hat, da es inzwischen jede Menge gute und günstige Konkurrenz gibt und der Markt gesättigt ist, dann fällt es mir schwer daran zu glauben, dass Nikon sich hier wirklich etablieren und ein zusätzliches Standbein aufbauen kann.

Es sind also düstere Zeiten für Nikon und die dunklen Wolken werden sich vermutlich auch nicht so schnell verziehen.

Was ist eure Meinung? Wie sollte Nikon den Weg aus der Krise angehen?

Mark Göpferich

Gründer von Photografix, der sich seit vielen Jahren immer wieder aufs Neue von Fotografie und Kameras begeistern lässt. Mit mehr als 4.000 Artikeln hier auf Photografix inzwischen so etwas wie ein Experte für neue Kameras.