Kameras

Sony serviert wieder nur aufgewärmte Kost, geht aber dennoch den richtigen Weg

Sony serviert mit der ZV-E10 mal wieder nur aufgewärmte Kost. Trotzdem geht man mit der Kamera irgendwo auch den richtigen Weg.

Schon wieder eine Kamera für Vlogger?

Wisst ihr noch, was ihr als Kind mal werden wolltet? Ich war mir in jungen Jahren lange unschlüssig, ob ich am liebsten Müllmann, Bauarbeiter oder doch eher Eishockeyspieler werden möchte. Der Berufswunsch des Eishockeyspielers war irgendwo naheliegend, schließlich bin ich in der Eishockeystadt Mannheim aufgewachsen. Müllmann oder Bauarbeiter mag da etwas abwegiger wirken, aber hinten auf einem fahrenden Auto stehen zu dürfen und im Sommer Oberkörper frei arbeiten zu können waren für mich als Kind einfach extrem überzeugende Argumente.

Und heute? Streben insgesamt 29 Prozent der Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren eine Karriere als Youtube-Star an. Das ist viel, verdammt viel sogar. Und es beantwortet die Frage, ob es denn wirklich schon wieder eine neue Kamera speziell für „Vlogger und Content Creator“ braucht. Ihr, die ihr hier auf Photografix unterwegs und im positiven Sinne „Foto-verrückt“ seid, braucht die zu großen Teilen vermutlich nicht. Aber Sony braucht eine solche Kamera. Weil die Vlogger eine immer größer werdende Gruppe von Menschen sind, die bereit sind, Geld für gutes Equipment in die Hand zu nehmen. Wenn man privat Fotos schießen und Erinnerungen festhalten will, dann reicht dafür den meisten inzwischen das Smartphone. Wenn man aber mit etwas Geld verdienen möchte (und das wollen die meisten YouTuber), dann ist man schon eher mal bereit, ein bisschen Geld in eine gute Kamera zu investieren.

Grundsätzlich ist es für mich also absolut nachvollziehbar, dass Sony zuletzt mit Modellen wie der ZV1 und ZV-E10 Kameras speziell für Vlogger auf den Markt gebracht hat. Das scheint sich für das Unternehmen zu lohnen und lohnenswerte Geschäftsfelder sind für Kamerahersteller in der heutigen Zeit ja schwer zu finden. Insofern: Gut gemacht, Sony!

Warum man die ZV-E10 dann nicht noch konsequenter auf die genannte Zielgruppe ausrichtet (wieder nur ein olles 920.000-Punkte-Display, bei dem man sich als Smartphone-Nutzer fragt, ob das Display aus dem letzten Jahrtausend stammt) erschließt sich mir nicht so ganz. Auch ein IBIS wäre sicherlich wünschenswert gewesen, aber sei’s drum.

Sony bietet in letzter Zeit nur wenig Neues

Was mich an der ZV-E10 allerdings stört ist die Tatsache, dass Sony hier mal wieder nur ein bisschen aufgewärmte Kost serviert. Technisch entspricht die Kamera zu großen Teilen einfach der A6100 mit ein paar Anpassungen rechts und links. Hinzu kommen erste Testberichte, die von schnellen Überhitzungen bei Videoaufzeichnungen sprechen. Das wäre, sollten sich diese Berichte bestätigen, bei einer Vlogger-Kamera natürlich suboptimal.

Nun ist es bei einer eher günstigen Kamera wie der ZV-E10 ja eigentlich nicht weiter schlimm, wenn ältere Technik verbaut wird. Man kann hier einfach nicht erwarten, dass neue Hardware oder bahnbrechende Neuerungen zum Einsatz kommen. Man könnte das Ganze sogar positiv sehen, da man als Kunde jetzt die Wahl zwischen ähnlichen Kameras wie der ZV-E10 und der A6100 hat und sich am Ende für genau das Modell entscheiden kann, das am ehesten den eigenen Vorstellungen entspricht.

Trotzdem hat sich Sony in den letzten Monaten nach meinem Geschmack ein bisschen zu oft dafür entschieden, lediglich zu recyceln und nichts wirklich Neues zu präsentieren. Ich denke dabei zum Beispiel an die Sony A7c, die zu großen Teilen der A7 III entspricht, die FX3, die eine A7s III mit anderem Gehäuse ist, und jetzt eben die ZV-E10.

Ich habe das in den letzten Monaten immer mal wieder betont, meiner Meinung nach agiert Sony hier und da zu sehr mit angezogener Handbremse. Die Sony A1 muss man da natürlich ausklammern, aber wo ist das neue APS-C-Flaggschiff, wo ist die Sony A7 IV, die sich in ihrer Preisklasse deutlich von der Konkurrenz absetzt? Mir kommt da, wenn man die Summe der Kamera-Neuheiten der letzten Monate und Jahre betrachtet, aktuell einfach etwas zu wenig von Sony. Aus wirtschaftlicher Sicht mag das aktuelle Vorgehen für Sony Sinn machen, aber die Erwartungen von anspruchsvollen Kunden kann man damit unter Umständen eben nicht (mehr) ganz erfüllen. Und die anspruchsvollen Kunden sind am Ende ja eigentlich die, die das größte Budget mitbringen.

Wie beurteilt ihr das? Kam zuletzt zu wenig von Sony oder ist das Unternehmen nach wie vor gut aufgestellt?

Mark Göpferich

Gründer von Photografix, der sich seit vielen Jahren immer wieder aufs Neue von Fotografie und Kameras begeistern lässt. Mit mehr als 4.000 Artikeln hier auf Photografix inzwischen so etwas wie ein Experte für neue Kameras.