Canon spricht davon, das RF-Bajonett durch ein Lizenzierungsprogramm für Dritthersteller geöffnet zu haben – allerdings mit Einschränkungen.
Canon RF-Objektive von Drittherstellern
Sony hat sie, Fujifilm hat sie, das Micro-Four-Thirds-System hat sie, Nikon hat sie inzwischen auch – und bei Canon sieht es nach wie vor düster aus. Die Rede ist von Dritthersteller-Objektiven, also Gläsern von Unternehmen wie Sigma, Tamron, Samyang oder Viltrox, die für die spiegellosen Kamerasysteme der genannten Hersteller angeboten werden.
Im Bereich der spiegellosen Vollformatkameras ist Canons RF-System das einzige, das fast gänzlich auf Objektiven von Drittherstellern verzichten muss. Ein paar manuelle Objektive gibt es zwar, gegen RF-Objektive mit Autofokus, die von den Drittherstellern via Reverse-Engineering entwickelt wurden, war Canon bisher aber gerichtlich vorgegangen, da laut Canon Patente verletzt werden.
Neues Interview zum Thema
Canons Strategie ist in den letzten Monaten von vielen Kunden immer wieder scharf kritisiert worden (ich verweise an dieser Stelle nochmal gerne auf unsere große Umfrage) und war auch in zahlreichen Interviews Thema. Auch in einem Interview, das im August 2023 in China zwischen CameraBeta und Verantwortlichen von Canon geführt wurde, ging es wieder um das RF-Bajonett und die Frage, ob Canon es irgendwann für Dritthersteller öffnen würde.
Canons Antwort auf diese Frage kam durchaus überraschend, Kazuka Yonei sagt nämlich, dass man das RF-Bajonett bereits durch Lizenzierung für Dritthersteller geöffnet habe. Allerdings spricht Yonei auch davon, dass die Lizenzierung noch auf spezielle Unternehmen beschränkt sei. Wenn Canon die Anfrage eines Drittanbieters erhält, prüfe man „in Übereinstimmung mit dem Geschäftplan und der Strategie von Canon“, ob eine Lizenz erteilt wird oder nicht.
Hier der entsprechende Auszug des Interviews im Wortlaut, automatisch aus dem Chinesischen übersetzt mit DeepL:
„Wie immer kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Pläne für zukünftige Forschung und Entwicklung nennen. Darüber hinaus hat Canon den RF-Anschluss bereits für Objektivhersteller von Drittanbietern durch Lizenzierung geöffnet, obwohl er noch auf spezielle Unternehmen beschränkt ist. Wenn wir eine Anfrage eines Drittanbieters von Objektiven zur Öffnung eines Anschlusses erhalten, werden wir in Übereinstimmung mit dem Geschäftsplan und der Strategie von Canon prüfen, ob wir eine Lizenz erteilen. In der Tat stehen wir in dieser Hinsicht mit mehreren Objektivherstellern in Kontakt.“
Einordnung der Aussagen
Dass Canon das RF-Bajonett durch ein Lizenzierungsprogramm für Dritthersteller geöffnet hat, liest sich im ersten Moment natürlich positiv und ist vermutlich das, was man gemeinhin als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnen würde.
Wenn man sich die Aussagen des Interviews dann aber genau anschaut, ist die Vergabe der Lizenzen aktuell mit einer großen Einschränkung verbunden – Canon entscheidet nämlich von Fall zu Fall, wann die Lizenz vergeben wird und wann nicht. Welche Maßstäbe Canon hier anlegt und welche Kriterien für die Vergabe erfüllt sein müssen, ist uns nicht bekannt.
Ebenfalls unbekannt ist, was der Lizenznehmer denn von Canon erhält, wenn die Lizenz erteilt wird. Teilt Canon die Protokolle mit den Dritthersteller oder muss trotz Lizenz Reverse-Engineering betrieben werden? Wird die uneingeschränkte Kompatibilität der Objektive mit den EOS R Kameras mit Firmwareupdates sichergestellt?
Ein Nutzer im Forum von DPReview umschreibt die Situation folgendermaßen: „Das ist so, als würde man sagen, Margot Robbie sei offen für Anfragen nach einem Date. Mit anderen Worten: Es steht dir frei, die Anfrage zu stellen, aber die Chance, dass sie angenommen wird, geht gegen null.“
Im Februar 2023 hatte Voigtländer das manuelle NOKTON 50mm f/1 Aspherical für Canon RF vorgestellt, bei dem Canon erstmals die Kommunikation eines Dritthersteller-Objektivs mit den EOS R Kameras zugelassen hat. Das erste lizenzierte Autofokus-Objektiv könnte zeitnah von Meike vorgestellt werden, die Rede ist vom Meike AF 85mm f/1.4, das im vergangenen April bereits auf der NAB 2023 zu sehen war. Canon Deutschland hatte gegenüber Photografix zwar bestätigt, dass man „keine Genehmigung zur Herstellung und zum Verkauf von Objektiven mit RF-Mount an Meike erteilt“ habe, trotzdem soll das Meike Objektiv auch in der RF-Version Ende August in Peking bei der 30. Internationalen Radio-, Film- und Fernsehausstellung zu sehen sein, so die Webseite Asobinet.
Unterm Strich gibt es also keine wirklichen Neuigkeiten. Ein Lizenzierungsprogramm klingt zwar grundsätzlich gut, doch wenn Canon die Lizenzen nicht vergibt, hat der Kunde auch nichts davon. Warten wir ab, wie sich die Situation in den nächsten Monaten weiter entwickelt.