Es gibt mal wieder eine Foto-App, die allgemeinen Social-Media-Trends entgegenwirkt – und andere spezielle dafür aufgreift.
Film-artige Fotos brauchen Zeit
Altgediente Fotografen – es reicht wahrscheinlich, wenn ihr wie ich über 25 Jahre alt seid – werden verwirrt den Kopf schütteln, doch für eine ganze neue Generation, die mit dem Smartphone aufgewachsen ist, sind Analogfotografie und Einmalkameras regelrecht “Vintage”. Und Vintage ist in auf Social Media, vor allem auf Plattformen wie TikTok. Hier gehen regelmäßig Dinge in einer ganz bestimmten Zielgruppe viral, die alle anderen völlig kaltlässt. Prominentes Beispiel vor einiger Zeit waren etwa die technisch völlig fragwürdigen Kinder-Kameras, über die ich hier mal berichtet hatte.
In eine ganz ähnliche Kerbe, nämlich die Nutzererfahrung aufgrund des Vintage-Vibes bewusst zu verschlechtern, schlägt auch die iPhone-App Lapse. Im Gegensatz zur vorinstallierten Kamera-App, mit der ihr unbegrenzt Fotos schießen und euch und eure Freunde über Social Media in einer Flut davon ertrinken lassen könnt, begrenzt Lapse diese und zeigt euch die Ergebnisse eurer Schnappschüsse nicht unmittelbar, sondern erst zu einem zufälligen Zeitpunkt später am Tag an. Wie bei einer Einwegkamera eben, nur schneller und ohne, dass man den Film irgendwo einliefern müsste. Das ist im Smartphonezeitalter schon unkomfortabel genug. Dass es Filter gibt, die den Filmlook imitieren, versteht sich von selbst.
Großartige Bewertungen im App Store
So unkomfortabel, dass die Nutzer die App lieben. Mit 4,8 Sternen bei fast 100.000 Bewertungen im iOS-App-Store ist Lapse ein immenser Erfolg, obwohl sich die App noch im Early-Access befindet, es den Zugang nur per Einladung gibt und sie in vielen Märkten (darunter auch Deutschland) noch nicht verfügbar ist. Brandneu ist Lapse übrigens auch nicht, sondern ging schon 2021 an den Start, hat sich aber gerade im letzten Jahr zu der App weiterentwickelt, die sie heute ist.
Doch nicht nur die künstlich erzeugte Entwicklungszeit löst die Begeisterung aus. Auch vernetzt sich die Nutzer hier nicht mit einer anonymen Masse an Followern, sondern nur ausgewählten Freunden, was dazu führen dürfte, dass Leute intimere Einblicke in ihr Leben preisgeben – ganz wie bei dem französischen Social-Media-Phänomen BeReal. Und wie es bei Instagram schon seit einiger Zeit im Trend liegt, monatliche “Photo Dumps”, also Galerien mit besonderen Highlights oder trivialen Schnappschüssen, zusammenzustellen, übernimmt Lapse diese Aufgabe automatisch.
Millionen Finanzierung gesammelt – ohne Geschäftsmodell
Lapse ist für seine Nutzer völlig kostenfrei. “Im Gegensatz zu anderen Plattformen schalten wir keine Werbung und verkaufen deine Daten nicht”, behaupten die Macher auf ihrer Website. Dennoch wurden von dem Erfolg Investoren angelockt, die in einer neuen Finanzierungsrunde satte 30 Millionen US-Dollar in das Start-up stecken. Damit wächst die Finanzierung auf insgesamt 42 Millionen Dollar und bringt dem Unternehmen eine Bewertung von angeblich 150 Millionen ein.
Ob die Sehnsucht nach der “guten alten” Social-Media-Zeit (oder sogar der Zeit vor Social Media) ausreicht, sich gegen Platzhirsche zu behaupten, wird die Zukunft zeigen. Aktuell scheint der nostalgische Ansatz aber einen Nerv zu treffen. Ich bin jedenfalls gespannt, ob Lapse ein langfristiger Bestandteil vieler iPhone-Fotografen bleibt oder doch nur ein kurzer Hype bleibt.
via: PetaPixel | TechCrunch