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Canon EOS R1: Ich nehme alles zurück

Meinung: Die Canon EOS R1 mag eine herausragende Kamera sein, doch als „erstes Flaggschiff“ des RF-Bajonetts liefert sie zu wenig.

Ich kann es nicht bestreiten: Ich habe mich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Als Canon im Mai 2024 die Entwicklung der EOS R1 angekündigt hat, habe ich die Kamera noch euphorisch als „Mutter aller Flaggschiffe“ bezeichnet. Angestachelt durch Canons eigene Aussagen (der Hersteller bezeichnet die Kamera z. B. als „erstes Flaggschiff für das EOS R System“), eine jahrelange Wartezeit und jede Menge spektakuläre Gerüchte war ich mir sicher, dass Canon mit der EOS R1 die Messlatte in der Branche ein ganzes Stück höher legen würde.

Nach der offiziellen Präsentation der EOS R1 wird bei mir persönlich diese Erwartung allerdings nur teilweise erfüllt.

Um mögliche Missverständnisse gleich aus dem Weg zu räumen: Die EOS R1 ist ohne jeden Zweifel die beste professionelle Sportkamera, die Canon jemals gebaut hat. Dinge wie der neue Autofokus, der neue Sucher oder der verbesserte Eye Control AF könnten für entsprechende Fotografen unter Umständen sogar Gamechanger sein.

Und doch sitze ich als kleiner Redakteur, der noch nie ein professionelles Sportevent fotografiert hat, jetzt hier und wage es, beim neuen Flaggschiff des Marktführers von nicht erfüllten Erwartungen zu sprechen. Blasphemie!

Lasst mich erklären, wie ich zu meiner Einschätzung komme.

Das Problem mit der Erwartungshaltung

Zunächst einmal müssen wir so fair sein und ganz klar zwischen Gerüchten und einer Erwartungshaltung, die durch den Hersteller selbst hervorgerufen wurde, unterscheiden. Für falsche Gerüchte zu einem DGO-Sensor mit herausragendem Dynamikumfang, einem Global Shutter, 85 Megapixeln oder einem bahnbrechenden Quad-Pixel-Autofokus kann Canon nichts. Vorausgesetzt, sie haben diese Gerüchte nicht selbst gestreut, wovon wir mal nicht ausgehen wollen. Klammern wir das also aus.

Doch auch Canon selbst hat aktiv dazu beigetragen, dass sich im Laufe der Jahre hohe Erwartungen an die EOS R1 eingestellt haben. Das beginnt bei der Präsentation der Canon EOS R3 im Jahr 2021, die Canon eben nicht EOS R1, sondern EOS R3 genannt hat. Ob die etwas früher im Jahr 2021 erfolgte Präsentation der Sony A1 Einfluss auf Canons Namensgebung hatte, das kann man nur spekulieren. Doch Fakt ist, dass Canon in Interviews in den darauffolgenden Jahren immer wieder hat durchblicken lassen, dass die EOS R3 eben nicht das Flaggschiff ist und dass sich mit der EOS R1 ein noch hochwertigeres und besseres Modell in der Entwicklung befindet. Ich verlinke hier beispielhaft mal ein entsprechendes Interview von phototrend.fr, das Anfang 2023 geführt wurde.

Auch in den letzten Wochen blieb Canon dieser Linie weiter treu und bezeichnete die Canon EOS R1 wie bereits erwähnt als das „erste Flaggschiff für das EOS R System“. Dementsprechend gehe ich als Marktbeobachter davon aus, dass sich die EOS R1 von der EOS R3 in einigen Punkten deutlich abhebt.

Selbstverständlich steht völlig außer Frage, dass die Canon EOS R1 der EOS R3 im Gesamten überlegen ist. Und doch fühlt sich die EOS R1 für mich nicht wie eine EOS R1, sondern wie eine EOS R3 Mark II an.

Warum sich die R1 für mich wie eine R3 Mark II anfühlt

Das liegt vor allem am Sensor der Canon EOS R1. 24 Megapixel, BSI-Sensor, Stacked – genau wie bei der Canon EOS R3 auch. Keine Unterschiede in Sachen Auflösung oder Sensor-Technologie, nichts. Verbesserte Geschwindigkeiten berücksichtige ich an dieser Stelle bewusst nicht, die setze ich nach drei Jahren Entwicklungszeit voraus.

Für mich wäre irgendeine Form von Differenzierung fast schon eine Grundvoraussetzung gewesen, um die Ausgliederung in eine separate und teurere Kamerareihe zu rechtfertigen. Da wirkt die Aufteilung bei Sony (50 Megapixel Stacked bei der A1, 25 Megapixel mit Global Shutter bei der A9 III) in meinen Augen deutlich schlüssiger.

Doch auch sonst gibt es einige Punkte, die die EOS R1 als Flaggschiff meiner Meinung nach vermissen lässt.

Da wäre zum Beispiel die Serienbildgeschwindigkeit von maximal 40 fps. Richtig gelesen, die Canon EOS R1 schafft nicht mehr als 40 Bilder pro Sekunde, auch nicht mit reduzierter Auflösung oder in JPEG only. „Ja aber 40 fps reichen doch völlig aus“, werden einige jetzt sagen – und haben in 99,9 % der Fälle vermutlich recht. Ein Flaggschiff aus dem Jahr 2024 sollte aber eine Kamera sein, die auch die restlichen 0,1 % abdeckt. Ich verspreche euch, dass es irgendwo da draußen einen Sportfotografen gibt, der in einer bestimmten Situation auch mal gerne 60 fps oder vielleicht sogar 120 fps benutzen wollen würde. Geht mit der EOS R1 aber nicht.

Zum Vergleich: Die Canon EOS R3 schafft in der Spitze 195 Bilder pro Sekunde. Bei der Nikon Z6 III sind es 120 Bilder pro Sekunde. Und 40 fps? Das ist ein Wert, den sich die Canon EOS R1 mit der Einsteigerkamera EOS R8 teilt. Na herzlichen Glückwunsch.

Der Liste der technischen Daten der EOS R1 bei Canon Deutschland entnehme ich, dass ich die Serienbildfrequenz wahlweise auf 40 / 30 / 20 / 15 / 12 / 10 / 7,5 / 5 / 3 / 2 oder 1 Bild pro Sekunde stellen kann. Wieso sind da keine 25 oder 35 Bilder möglich? Gleiches gilt für den neuen Pre-Capture-Modus. Wenn dieser aktiviert ist und genutzt wird, entstehen immer exakt 20 zusätzliche Bilder. Eine Reduzierung auf 5, 10, 12 oder 17 Bilder ist nicht möglich. Andere Hersteller wie Sony bieten das an – warum tut Canon es nicht auch?

Weiter auf Seite 2.

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